Buch: Das Jahrbuch der Alpenvereine mit dem Schwerpunkt Großglockner
Ein fester Bestandteil meines Herbstes und der Vorweihnachtszeit ist seit einigen Jahren das Alpenvereinsjahrbuch mit dem schlichten Namen “Berg” und der jeweiligen Jahreszahl. Das Hauptthema der diesjährigen Ausgabe Berg 2018 ist der höchste Berg Österreichs, der Großglockner.
BergWelten: Großglockner
Erzherzog-Johann-Hütte, Stüdlhütte und Stüdlgrat, Großglockner-Hochalpenstraße, Pasterze, Nationalpark Hohe Tauern. Das sind nur einige Begriffe, die direkt mit dem Großglockner verbunden sind. Österreichs höchstem Berg widmet Berg 2018* das Kapitel BergWelten. “Die große Glocknerrunde”, ein ausführlicher Artikel über den gleichnamigen siebentägigen Hüttentrek durch den Nationalpark Hohe Tauern, macht den Anfang.
Nach einem Glossar der Glocknerbegriffe und verschiedenen Ansichten des Berges zeigt ein historischer Artikel, wie der Nationalpark Hohe Tauern unter Federführung des Industriellen Albert Wirth entstanden ist, der dem DeutschÖsterreichischen Alpenverein schon 1918 ein Gebiet von 41 Quadratkilomtern schenkte, um das Gebiet “ein für allemal der spekulativen alpinen Fremdenindustrie zu entziehen”. Ein Anliegen, das heuet noch genauso aktuell ist wie vor einhundert Jahren.
Freunde der Kartographie wird der Artikel “Der Wirklichkeit abgelauscht” interessieren. Er zeigt die Evolution der Alpenvereinskarten des Glocknergebiets von 1871 bis 2017.
Das derart beeindruckend große Kristalle am Glockner gefunden werden können, wusste ich auch nicht. Gleich das Titelfoto des Artikels “Ein sagenhafter Schatz” zeigt, dass der Titel nicht übertrieben ist. 1990 fand Stefan Obkircher an einer schwer zugänglichen Stelle eine Kluft voller Kristalle. Der Artikel beschreibt, wie man mit dem Sensationsfund umgegangen ist, um die Kluft Ausräuberung zu schützen, es aber auch zu ermöglichen, die Kristalle wissenschaftlich untersuchen und auch der Öffentlichkeit präsentieren zu können. Im Glocknerhaus in Kals kann man einige der Exponate bewundern.
Mit der Pasterze, dem heftig vom Klimawandel betroffenene Glockner-Gletscher und mit der legedären Großglockner-Hochalpenstraße befassen sich die folgenden Beiträge. Dann schließt “Die vertagte Seelenrevolution”, ein Blick auf die Zeit der Jahre kurz nach der französischen Revoltion, das Kapitel BergWelten ab. Der Artikel zieht Parallelen der gesellschaftlichen Umwälzungen der Revolutionsjahre in Europa zu den ersten spektakulären alpinistischen Großtaten, zu denen auch die Erstbesteigung des Großglockners im Jahr 1800 zählt.
BergFokus: Bergsport und Gesundheit
Dem Thema Bergsport und Gesundheit widmen sich alle Artikel in BergFokus, aber mit ganz unterschiedlichem Fokus: Ob es um die seelischen und körperlichen Auswirkungen des Bergsports sind, ob er gar zur Heilung oder Linderung von Depressionen und ansderen psychischen Erkrankungen beiträgt. Als Aufruf, mehr mit Kindern rauszugehen und auch die Berge zu entdecken, kann man den Artikel “Die Stängelchen dem Wind aussetzen …” auffassen.
Und wie ist es in späteren Jahren mit dem Wandern und Klettern, wenn Knie- und Hüftprothesen anstehen? “Nach einem Jahr gehört sie Dir”. Gut zu wissen. Mit dem teilweise ins ungesunde gehenden Bergrausch befasst sich “Berg-High”, éin anderer Artikel mit typischen Verletzungen beim Wettkapfklettern, bevor der Tod am Berg das Kapitel beschließt. Hier geht es um unterschiedliches Verhalten von Männern und Frauen am Berg, denn “Der Tod am Berg ist männlich”.
BergSteigen
Das Kapitel BergSteigen widmet sich traditionell den Bergsportlern und ihren besonderen Leistungen im vergangenen Jahr, besonders auch denen der neuen olympischen Sportarten Klettern und Skibergsteigen. Die Erstbegehung der Pumprisse im Wilden Kaiser vor 40 Jahren ist ebenso Thema wie Bergsport als Integrationshelfer für Geflüchtete. Ein Streitthema beleuchtet “Nicht ohne mein Duschhandtuch”, der gesellschaftliche Klimawandel beim Hüttenwandern. Wie sich das Hüttenerlebnis und die Ansprüche verändern.
BergMenschen
Fünf ganz unterschiedliche BergMenschen werden im gleichnamigen Kapitel vorgestellt. In Österreich bleiben die Artikel über den Wetterwart auf dem Hohen Sonnblick und das Interview mit der Berg- und Skiführerin Lisi Steurer. Der Amerikaner John Roskelley und sein großen Erfolge im Karakorum und Himalaya werden in “The Good Bad Boy” portraitiert. In diesen beiden Gebirgsregionen bleiben auch die beiden anderen Portraits. Die Garmischerin Billie Bierling arbeitet seit vielen Jahren für Elizabeth Hawley und die Himalayan Database in Nepal, ist aber auf der ganzen Welt zu Hause. Zum Abschluss des Kapitels geht es nach Pakistan, wo sich Hanniah Tariq für die soziale, wirtschaftliche und ökologische Veränderungen im Karakorum einsetzt.
BergWissen
Der Fels steht im Mitelpunkt der ersten zwei Artikel. Sind er und die daraus geformten Berge wirklich “ewig”, iwe das Bergsteigersprichwort sagt? Im zweiten Artikel wird die Geologie von verschiedenen Klettergesteinen verglichen. Die weiteren drei Artikel haben als verbindendes Element den Klimawandel. Wie wirkt er sich auf die Artenvielfalt in den Gipfelregionen aus? Wird, in Ermangelung von Schnee, Biken zum neuen Skifahren? Und auch der Streit um die geplante Skischaukel am Riedberger Horn und den Bestand des Alpenplans wird in einem Artikel beleuchtet.
BergKultur
Im Kapitel BergKultur finde ich in jeder Asugabe besonders schöne und interessante Artikel. Wie den des Wiener Schriftstellers Bodo Hell, der seit fast 40 Jahren jeden Sommer auf einer Alm am Dachstein verbringt. Nicht ganz leicht, aber sehr sehr interessant zu lesen.
Die beiden letzten Artikel des Buches befassen sich mit den Staatsgrenzen im alpinen Raum. Vor 250 Jahen wurde die Grenze zwischen dem Werdenfelser Land und dem Land Tirol neu vermessen. Mitten über die felsigen Berge von Karwendel und Wetterstein. Die damalige Grenzziehung bildet auch heute noch den Verlauf der Staatsgrenze zwischen Deutschland und Österreich: “Wo Grenzbeamte zu Bergsteigern wurden”.
Vor 100 Jahren wurde eine Alpengrenze verschoben: Tirol wurde geteilt, Südtirol gehörte nun zu Italien. Die Auswirkungen auf die südtiroler Alpenvereinssektionen und den Konflikt um die Schutzhütten, die überwiegend nicht-Südtiroler Sektionen gehörten, zeigt der letzte Artikel des Buches. Ein Blick zurück in eine Zeit, die man sich als heutiger Besucher von Südtirol kaum mehr vorstellen kann.
Wie jedes Jahr gilt auch für Berg 2018* wieder: Ich kann es Euch empfehlen. Ohne Einschränkung. Zum Selberlesen, zum Verschenken an Bergfreunde. Als Zeitdokument. So viel Buch, so viele tolle Artikel aus ganz unterschiedlichen alpinen Themenbereichen zum günstigen Preis von 18,90 Euro findet sich wohl sonst nicht.
Alpenvereinsjahrbuch Berg 2018
Herausgeber: Deutscher Alpenverein, Österreichischer Alpenverein, Alpenverein Südtirol
256 Seiten
Tyrolia-Verlag
ISBN: 978-3-7022-3627-4
18,90 €
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Danke für den Appetitanreger 🙂
Ich lese die Jahrbücher immer gerne auf den Hütten im Folgejahr, da liegen sie ja oft aus. In den Wintertagen reinzuschmökern ist aber natürlich auch eine gute Alternative.