Bergbuch: Iris Hadbawnik – Mythos Mount Everest – Ein Berg wird erobert
Vor 60 Jahren, am 29.5.1953 standen Edmund Hillary und Tenzing Norgay auf dem Gipfel des Mount Everest. Der höchste Berg der Welt war bestiegen. Passend zum Jubiläum der Besteigung des „dritten Pols“ hat Iris Hadbawnik ein Buch über den Mount Everest und seine Besteiger geschrieben.
Interessant ist hierbei, dass Iris Hadbawnik, die mir das Buch zur Vefügung gestellt hat, selbst keine Bergsteigerin ist. Als Marathonläuferin und Trailrunnerin hat sie an zahlreichen Ultraläufen, wie dem Ironman, teilgenommen. Darunter auch Bergläufe auf die Zugspitze und den Mont Blanc. Damit nimmt sie sich des Themas aus der Sicht einer Extremsportlerin an, aber aus einer anderen Perspektive als es ein Extrembergsteiger machen würde.
Nach dem Vorwort zum Buch, von keinem geringeren als Kurt Diemberger geschreiben, nimmt sie sich zunächst die Behauptung vor, eine Besteigung des Mount Everst wäre inzwischen banal, weil es durch organisierte Besteigungen und die Hilfe der Sherpas sowieso fast jeder auf den Gipfel schafft. Sie zieht hierzu Vergleiche: Ist es banal, einen Marathon zu laufen, nur weil es viele Tausende Läufer jährlich schaffen? Oder einen Ironman? Viele schaffen es, aber ist es dadurch alltäglich geworden?
Diese Einschätzung der Leistung resultiert natürlich aus ihrem Leben als Extremsportlerin, aber sicher auch aus ihrer persönlichen Erfahrung im Himalaya. Beim Trekking zum Basislager des Everest bekam sie die Auswirkungen der Höhe zu spüren und musste aus gesundheitlichen Gründen umkehren, bevor sie das Basislager erreicht hatte.
Das erste große Kapitel des Buches befasst sich mit der Faszination Mount Everest und mit seinen Gefahren. Warum nehmen Menschen die Strapazen und Gefahren einer Bestigung des höchsten Berges der Welt auf sich? Wie wirken sich Höhenkrankheit, fehlende Konstitution oder bergsteigerische Fähigkeiten auf die Besteiger aus? Dazu interviewt sie Russel Brice, der ein Expeditionsunternehmen leitet, und Michael Nehls, Arzt und Sportler, der sich mit der Höhenkrankheit befasst.
Weiter umfasst das Kapitel einen Artikel über die Sherpas, für die der Tourismus und die Besteigungen eine wichtige Einnahmequelle in der sonst sehr armen Region darstellen. Sie sehen sich oft aus wirtschaftlichen Gründen gezwungen, die Gefahren der Besteigung auf sich zu nehmen, um das Einkommen der Familie zu sichern.
Im zweiten Kapitel Warum ausgerechnet Everest geht es um die vergeblichen und die erfolgreichen Versuche der Erstbesteigung des Mount Everest. Beginnend mit dem tödlich geendeten Versuch der Briten George Leigh Mallory und Andrew Irvine über die Versuche von Maurice Wilson, den Everest mit dem Flugzeug zu erobern, führt das Kapitel zu erfolgreichen Besteigung durch Edmund Hillary und Tenzing Norgay.
Dabei stehen, was das Buch von anderen Bergbüchern unterscheidet, weniger die Besteigungen selbst im Vordergrund. Iris Hadbawnik stellt die Bergsteiger in den Mittelpunkt. Sie beschreibt auf wenigen Seiten die Vorgeschichte der Bergsteiger und zeigt damit die Motivation, warum sie sich entschieden haben, Strapazen, Verletzungen und den möglichen Tod in Kauf zu nehmen, um den Everest zu besteigen.
Mehrere Exkurse befassen sich mit der Rolle der Sherpas und mit Jochen Hemmleb, der die Leiche von George Mallory gefunden hat. Jochen Hemmleb hat mehrere Bücher über den Mount Everest geschrieben. Auch in diesen Exkursen erfahren wir als Leser, wie Jochen Hemmleb zum Bergsteigen kam, was sein persönliche Motivation hierfür war. Sehr interessant und berührend.
Weitere Artikel befassen sich mit den ersten Frauen auf dem Everest, dem ersten Deutschen und der weiterhin andauernden Diskussion, ob die Benutzung von Flaschensauerstoff legitim ist oder dessen Nutzung womöglich sogar verboten werden sollte.
Das Kapitel Rekordberg Everest – Rekordjägern auf der Spur fand ich erst etwas suspekt, habe ich doch „schneller, höher, weiter, erster“-Artikel erwartet, zumal auf dem Eingangsfoto des Artikels ausgerechnet die „Kronen-Zeitung“, das österreichische Pendant zur „Bild“ abgebildet war. Aber zum Glück war es nicht so.
Ob es um Radfahrer auf dem Everest geht, Altersrekorde oder die erste Gipfelbesteigung eines Blinden: Immer steht die Geschichte der Person im Vordergrund, nicht die Rekordjagd. Und so zeigt es sich auch hier, dass die Motivation meistens nicht ist, „der Erste“ zu sein, sondern dass die Motivation, den Everest zu besteigen, aus dem Vorleben der Person herrührt und wohlüberlegt ist.
Ebenfalls sehr persönliche Geschichten liest man unter Besteigungen heute: Die schier unglaubliche Geschichte der österreichischen Familie Studer, die im zwölften(!) Versuch auf dem Gipfel stand. Billi Bierling, die Bergsteigerin ist, aber auch die Everest-Chronistin Miss Elizabeth Hawley unterstützt. Mit Jörg von de Fenn wird ein blinder Bergsteiger aus Berlin vogestellt.
Dass es nicht nur Bergsteiger in den Himalaya zieht, zeigt Sportlerparadies Mount Everest. Wenn einen Extremläuferin das Buch schreibt, verwundert es nicht, dass die Laufwettbewerbe, die teilweise im Basislager des Everest starten, einen breiten Raum einnehmen. Anschaulich werden die Wettbewerbe und die besonderen Bedingungen dieser Läufe, geschildert. Aber wer hätte gedacht, dass es auch Apnoe-Taucher, Eisschwimmer und Gleitschirmflieger in diese Region zieht?
Zum Abschluss des Buches werden noch die beiden klassischen Routen auf den Mount Everest, die Nordroute von Tibet aus und die Südroute von Nepal aus, mit ihren markanten und bekannte Punkten beschreiben. Eine praktische Hilfe, wenn man in anderen Büchern, die von Bergsteigern geschrieben wurden, von diesen Punkten liest.
Die hohen Kosten einer Besteigung und das für und wider kommerzieller Expeditionen werden noch einmal diskutiert. Hier kommt auch Russel Brice noch einmal zu Wort, der solche Expeditionen selbst organisiert. Ein Artikel über die mentalen Voraussetzungen, die zur erfolgreichen Besteigung des Everest notwendig sind leiten über zur letzten, wichtigen Frage: Was bleibt vom Mythos Everest?
Das Buch „Mythos Mount Everest“ von Iris Hadbawlik, erschienen im Verlag Die Werkstatt, hat mir ausgesprochen gut gefallen, vielleicht gerade weil es aus der üblichen Bergsteiger-Literatur heraussticht. Weil es eben nicht von einer Bergsteigerin geschrieben worden ist. Durch ihren Hintergrund als Extremläuferin hat meiner Ansicht nach Iris Hadbawlik einen ähnlichen Zugang zu den Herausforderungen, der in dem Buch immer wieder beschrieben wird: Welche Geschichte und Motivation haben die Menschen, den Berg zu besteigen? Ein sehr interessantes Bergbuch, das gut geschrieben viele Geschichten über den Mount Everest und die Menschen, die ihn bestiegen haben oder besteigen wollten, erzählt.
Mythos Mount Everest – Ein Berg wird erobert
Iris Hadbawnik
224 Seiten
24 x 17 x 6,2 cm
Verlag Die Werkstatt
ISBN 978-3-7307-0007-5
Wer selbst schon einmal in den Bergen zum Klettern war, wird von den atemberaubenden Fotos und überhaupt von dem Buch begeistert sein. Es bietet umfangreiches Hintergrundwissen und ist sehr spannend zu lesen.