Eine Wanderung vom Ostbahnhof zum Hauptbahnhof München
Wenn man neu nach München zieht, lernt man einige neue Worte kennen, die es nur hier gibt. Ein Ungetüm von Wort, das unter Einheimischen wie Zuagroasten gleichermaßen gefürchtet ist, heißt “Stammstreckensperrung”. Sie kommt unerwartet und gerne im morgendlichen Berufsverkehr. Die gute Nachricht: Man kann die Stammstreckensperrung mit einer Wanderung vom Ostbahnhof zum Hauptbahnhof umgehen. Auf dieser Wanderung mitten durch die Stadt geht es durchs Grüne, steil bergab, durch einen alpinen Wildfluss und zu einem Wasserfall. Dazu treffen wir auf einen Steinbock, besuchen eine Berghütte und kommen sogar an einem Klettersteig vorbei.
Eine Stammstreckensperrung sorgt für schlecht gelaunte Pendler, die sich alsbald sardinenartig in komplett überfüllten Zügen der U5 und der Trambahnlinie 21 drängen.
Darum hier mein Tipp, wenn Ihr eine gute halbe Stunde auf die Fahrzeit aufschlagen könnt: Geht besser zu Fuß vom Ostbahnhof zum Hauptbahnhof. Es lohnt sich, statt Pendlerstress macht Ihr eine ziemlich schöne morgendliche Stadtwanderung und bekommt neue Eindrücke und gute Laune am frühen Morgen.
Wenn Ihr von einer Stammstreckensperrung oder einer anderen Störung wie Stellwerksstörung, Weichenstörung, Signalstörung, Triebfahrzeugschaden oder sonstigen “Störungen im Betriebsablauf” des Münchner Nahverkehrs betroffen seid, findet Ihr aktuelle Informationen auf diesen Websites und Twitter-Accounts:
Betriebslage S-Bahn-München:
http://www.s-bahn-muenchen.de/s_muenchen/view/service/aktuelle_betriebslage.shtml
S-Bahn München und Regionalzüge:
https://twitter.com/streckenagent_M
MVG-Ticker:
https://twitter.com/MVGticker
Und wie es sich für die Berghauptstadt München gehört, werden wir versuchen, so viel alpines Flair wie möglich auf unserer Wanderung zu finden. Darum nehmen wir auch nicht die Direttissima, sondern machen ein paar kleine Schwenker.
Vom Ostbahnhof führt der Weg zunächst durch Haidhausen. Über die Wörthstraße erreichen wir den Bordeauxplatz und passieren die Batteriezentrale, die auch Stirnlampen im Sortiment hat. Verpasst nicht den steinernen Alpensteinbock (Capra ibex), der den Springbrunnen auf dem Bordeauxplatz ziert.
Dann geht es rechts in die Metzstraße, vorbei an der Zentrale von Biss, und dann biegen wir auch schon in die Preysingstraße ein.
Auf diesem Stück ist die lange Straße durch Haidhausen mit ihren kleinen alten Häusern noch richtig dörflich. Am Ende dieses Abschnitts der Preysingstraße steht der Kriechbaumhof, der als Treffpunkt der Alpenvereinsjugend München genutzt wird.
Der Kriechbaumhof wurde vor etwa 300 Jahren als Herberge erbaut. Arbeiter, die in München arbeiten, aber nicht wohnen durften, lebten unter ärmlichen Bedingungen vor den Toren der Stadt in Haidhausen. Später als Glasscherbenviertel verschrien, ist Haidhausen heute eines der absoluten In-Viertel Münchens. Die Zeiten ändern sich.
Erbaut ist der Kriechbaumhof aus Holz im Stil eines alpenländischen Bauernhofs. 1976 wurde das Haus abgetragen und 1985 in der Preysingstraße, nicht weit entfernt vom ursprünglichen Standort, wieder aufgebaut.
Jetzt gehen wir weiter über die Preysingstraße in Richtung Gasteig. An der Ecke zur Steinstraße lockt das Eiscafé Adamello die Eis- und Bergfreunde gleichermaßen. Die etwa 40 Kilometer nordwestlich des Gardasees gelegene Cima Adamello ist mit 3554 Metern Höhe einer der großen Berge der italienischen Ostalpen.
Jetzt folgt die Entscheidung: Das nächste Ziel sind die Maximiliansanlagen an der Isar. Entweder gehen wir weiter über die Preysingstraße und die Kellerstraße zur Kirche St. Nikolai am Gasteig und biegen dort in die Maximiliansanlagen ein. Oder sollen wir doch die Abkürzung über Steinstraße und Wiener Platz nehmen?
Heute geht es über den Wiener Platz. Zum Einen, weil das wirklich ein schöner Platz ist, zum anderen liegt mit rumrich stone projects einer der bekannten Kletterläden Münchens gleich nebenan.
Weiter geht es über die Grütznerstraße am Maximilianeum vorbei in die Maximiliansanlagen und zur Isar, dem wilden Alpenfluss Münchens, der direkt aus dem Karwendelgebirge kommt. Hier fließt die Isar aber in einem gemauerten Flussbett, richtig wild darf sie nicht mehr sein.
Bergwanderfeeling kommt auf dem Weg unter der Maximiliansbrücke hindurch auf. Immerhin 16% Gefälle sind auf einem kurzen Wegstück zu bezwingen, um fast auf Isarniveau zu gelangen.
Eine breite Wasserstufe erinnert mit ihrem tosenden Lärm fast an einen Wasserfall, der zwar nicht hoch, aber breit ist, dazu laut und gefährlich. Baden ist hier aus gutem Grund verboten.
Hier beginnt auch der Steg, der auf der Trennmauer zwischen Isar und Auer Mühlbach verläuft. Auf diesem Steg gehen wir, praktisch auf der Isar, zurück zum Kabelsteg und der Mariannenbrücke.
Obwohl “Mariannenbrücke” schicker klingt, ist der Kabelsteg die schönere und imposantere der beiden Brücken zwischen Haidhausen und dem Lehel. Beim Überqueren der Isar blicken wir auf die große Wehranlage, durch deren zehn Wehrtore Wasser von der großen in die kleine Isar abgelassen werden kann.
Je nach Wasserstand zeigt sich die Isar hier ganz unterschiedlich: Manchmal tosen braune Wassermassen hinunter in die wild schäumende Isar. Bei Niedrigwasser aber liegen große Kieselinseln im kristallklaren, sanft dahinplätschernden Wasser.
Die Verbindung beider Brücken bildet die Praterinsel, eine langgestreckte Isarinsel. Hier befindet sich das nächste Etappenziel, das Alpine Museum des Deutschen Alpenvereins.
Dauer- und Wechselausstellungen und die Bibliothek des DAV beherbergt das Haus, dazu das Café Isarlust. Im Garten des alpinen Museums wurden in den letzten Jahren das alte Biwak des Jubiläumsgrats und die Ur-Hölle, die über 100 Jahre alte erste Höllentalangerhütte, wieder aufgebaut.
Über die Mariannenbrücke kommen wir in das Lehel, wo wir über den Mariannenplatz, die Mannhardt- und Kanalstraße den Isartorplatz erreichen. Obwohl das große Isartor den Mittelpunkt des Platzes bildet, ist er doch fast nur eine riesige Kreuzung, ein Monument der autogerechten Stadt.
Aber hier beginnt die Shoppingmeile des Münchner Outdoorfans. Gleich auf der Ecke steht der Globetrotter, nicht weit entfernt die Frauenstraße hinunter in Richtung Viktualienmarkt finden sich die örtlichen Filialen von Salewa/Dynafit und Mammut.
Unser Weg führt nun aber schnellstens durch die Innenstadt. Weil mittlerweile die Zeit etwas drängt, weil es sich in der Fußgängerzone besser läuft als im Straßenverkehr und weil wir so an vielen Outdoor-Läden vorbeikommen.
Wie üblich bei einer Wanderung wandern wir auch in München durch das Tal, so heißt diese Straße, die noch keine Fußgängerzone ist, aber genau dorthin führt.
Am Ende des Tals tangieren wir den links liegenden Viktualienmarkt, kommen am alten und neuen Rathaus vorbei und in der Rosenstraße, links rein, liegt schon der Sport Schuster, eine Münchner Institution für Bergsportler aller Art.
Hier hat in den Nachkriegsjahren Hermann Buhl in der Bergsportabteilung gearbeitet. Heutzutage lockt der zentral gelegene und vermutlich einzige Indoor-Klettersteig Münchens. Neben dem Angebot des Ladens natürlich.
Der Weg durch die Fußgängerzone zum Stachus, über Kaufinger und Neuhauser Straße, führt noch am Sport-Scheck, dem dritten großen Outdoorgeschäft Münchens vorbei.
Dazu gibt es noch einen Wolfskin Laden und früher gab es noch den Karstadt Sport, in dem ich vor ewigen Zeiten meine ersten Bergstiefel und später mein Fahrrad gekauft habe.
Jetzt noch schnell durch die Unterführung am Stachus und in die Bayerstraße zu den letzten beiden Bergstationen. An der Kreuzung zum Bahnhofsplatz war bis vor ein paar Jahren die Geschäftsstelle des Alpenvereins München und Oberland.
Und wenn Ihr dann auf den Bahnhofsplatz und bis zur Einmündung der Schützenstraße geht, dann konntet Ihr früher auf das Bahnhofsgebäude schauen. Das war zwar eher häßlich und ungepflegt. Aber hinter der Glasfassade über dem Eingang, direkt bei der großen Uhr, befand sich ein denkmalgeschütztes Alpenrelief des Münchner Künstlers Rupprecht Geiger aus den fünfziger Jahren.
Das war ein toller Abschluss für die kleine, aus der Not der Stammstreckensperrung heraus geborene „Bergwanderung“ durch München. Mittlerweile wurde das Relief entfernt und eingelagert. Das alte Bahnhofsgbäude wurde längst abgerissen und wird durch einen Neubau ersetzt. Dann soll das Relief wieder eingebaut werden.
Und natürlich kann man diese Wanderung auch ganz ohne Stammstreckensperrung und Berufsverkehr machen. Für diesen Fall empfehle ich, unbedingt noch eine größere Schleife durch die Maximiliansanlagen zu drehen und noch den Friedensengel an der Prinzregentenstraße zu besuchen.
Kaum habe ich diesen Artikel geschrieben und musste nur noch ein paar schöne Fotos machen, da habe ich den MVV-Gehzeitenplan von Benedict Witzenberger bei @Chrismedial gefunden. Wie passend! 53 Minuten soll der Weg vom Ostbahnhof zum Hauptbahnhof laut dem Plan dauern.
Links:
Kriechbaumhof in der Preysingstraße bei München.de und beim JDAV München
Auer Mühlbach
Alpines Museum des Alpenvereins
Das Alpine Museum bei Kulturnatur. Ebendort findet Ihr auch mehr Informationen über das Alpenrelief und zu anderen alpinen Punkten Münchens.
Über das Relief im Hauptbahnhof
Unterstützenswert: Biss – Bürger in sozialen Schwierigkeiten