Der harte und der leichte Weg zum Dettifoss
Direkt an der Abbruchkante sitzen sie, fast schon von den Gischtwolken des mächtigen Dettifoss verhüllt, dessen Wassermassen hier 45 Meter in die Schlucht fallen. Ein unglaubliches Naturschauspiel voller wilder Schönheit. Das wir so nur sehen, weil wir auf unserem Weg zum Mývatn noch schnell einen Abstecher zum Dettifoss machen wollten. Aber wir sind etwas zu früh abgebogen, was uns mehr als 50 Kilometer übelste Schotterpiste eingebracht hat. Aber auch den beeindruckenderen Blick auf den Dettifoss. Dazu einige weitere Sehenswürdigkeiten im Norden, die wir gar nicht auf der Liste hatten, ein warmes Bad und die Ankunft am Mývatn eine Tag später als geplant.
So falsch sind wir gar nicht abgebogen, immerhin gab es einen Wegweiser zum Dettifoss. Wir stehen auf einem kleinen Parkplatz an der Abzweigung von der Ringstraße. Zweihundert Kilometer sind wir schon von Stöðvarfjörður aus gefahren, Egilsstaðir ist auch schon 130 Kilometer entfermt. Noch 40 Kilometer wären es bis zum Mývatn. Die Brücke über den Fluss Jökulsá á Fjöllum mit dem schönen Namen „The Golden Gate Bridge Of The Highlands“ können wir vom Parkplatz aus schon sehen.
Dettifoss von Osten: 864, der harte Weg mit Belohnung
Und wir sehen die Abzweigung: Straße 864, die in 28 Kilometern zum Dettifoss führt. Eine schöne Asphaltstraße, die nehmen wir. Gesagt, getan, wir fahren auf der leeren Straße durch eine leere, flache Landschaft. Allerdings nur ein paar hundert Meter, bis wir das bekannte “Gravel Road ahead” Schild sehen.
Die folgenden 27 Kilometer sind eine Tortur für unser feuerrotes Schlafmobil, unsere Hinterteile und Wirbelsäulen und auch die Psyche. Wir fahren auf der schlimmsten Schotterstraße seit dem Weg zum Svinafellsjökull Gletscher. Aber der war nur zwei Kilometer lang.
Auf der 864 fahren wir nun gut 27 Kilometer Gravelroad. Besonders übel sind nicht große Schlaglöcher, sondern tausende sehr kurzen Bodenwellen, über die wir unablässig fahren. Es fühlt sich an, als ob wir über ein kilometerlanges Wellblech fahren. Entsprechend langsam fahren wir hier, teilweise mit weniger als 20 km/h. Die auf Gravel Roads theoretisch erlaubten 80 km/h erreichen wir nicht annähernd, da würde es uns wohl das Auto zerreissen.
Die Landschaft bleibt eine leere Steinwüste in allen möglichen Braun- und Grautönen, manchmal ist die Erde rötlich gefärbt. Nur ein paar struppige Gräser sehen wir, ab und zu taucht einmal ein Hügel auf.
Dann sehen wir Rauchschwaden aus dem Boden aufsteigen. Ist es ein Geothermalgebiet oder brennt es dort? Nein, wir haben den ersten Blick auf den Dettifoss. Noch sehen wir den Wasserfall nicht, der unterhalb der Straße im Canyon verläuft. Was wir sehen, sind die ständig aufsteigenden Gischtschwaden des Wasserfalls.
Wir biegen ab und fahren hinunter zum Parkplatz. Hier auf der Ostseite sieht alles sehr provisorisch aus. Außer dem Parkplatz selbst gibt es hier nur ein Toilettenhäuschen und die Wegweiser zum Selfoss und Dettifoss. Über den Weg und einige Felsplatten können wir bis direkt an die Abbruchkante des Wasserfalls gehen.
Ein paar Leute sitzen auf Felsen direkt an den Wassermassen. Unmittelbar neben ihnen stürzt das Wasser unter ohrenbetäubendem Lärm 45 Meter in die Tiefe. Der Anblick ist unglaublich beeindruckend und lässt uns die üble Anfahrt vergessen.
Wie nah man sich ans Wasser traut, bleibt jedem selbst überlassen. Ganz so nah wie andere, die fast die Füße ins Wsser halten, gehen wir nicht heran. Ein Sturz in die Fluten und den Wasserfall hinab wäre mit großer Sicherheit tödlich. Aber auch mit ein paar Metern Abstand sind wir noch beeindruckend nah an den Wassermassen.
Die karge Landschaft, der breite Fluss, die Fallhöhe des Wassers, der Lärm, die Gischt: Diese Kombination lässt den Dettifoss zu einem der beeindruckensten Wasserfälle unserer Reise werden. Hier spürt man die Urkräfte des Wassers ganz unmittelbar.
Der Dettifoss gilt als einer der wasserreichsten und energiereichsten Wasserfälle Europas. Der Fluss Jökulsá á Fjöllum fließt vom Vatnajökull Gletscher durch die Schlucht Jökulsárgljúfur in das Arktische Meer. Seine Wassermenge schwankt im Jahresverlauf, durchschnittlich sind es fast 200 Kubikmeter Wasser, die am Dettifoss auf 100 Metern Breite pro Sekunde 45 Meter herabfallen.
Wenn wir nach Norden blicken, sehen wir die tiefe Jökulsárgljúfur Schlucht mit ihren senkrecht aufragenden Felswänden. Geradezu friedlich fließt der Jökulsá á Fjöllum durch diesen Canyon, den er selbst geschaffen hat. Kein Vergleich zu dem Spektakel, das wir hier am Dettifoss sehen.
Auch wenn der Weg zum Dettifoss über die Straße 864 sowohl Auto (wir hatten einen normalen Campervan, keinen 4×4) als auch Passagieren einiges abverlangt, kann ich Euch den Dettifoss von dieser Seite aus sehr empfehlen. Ihr kommt bis unmittelbar zum Wasserfall, der Anblick aus nächster Nähe ist unglaublich beeindruckend.
Dettifoss von Westen: 862, entspannt zum Wasserfall
Von Westen aus sind wir am folgenden Abend zum Dettifoss gefahren. Vom Mývatn führt der Weg über eine Bergkette und am Námafjall-Geothermalgebiet vorbei. Nach links biegen wir auf die Straße 862 ab. Wieder fahren wir nach Norden, wieder durch eine Felslandschaft, die durch ihre karge Wildheit und Weite beeindruckt. Aber diesmal wackelt und scheppert nichts im Laderaum. Wir fahren ganz bequem über eine hervorragende Asphaltstraße, von der nach zwanzig Kilometern eine ebenfalls asphaltierte Stichstraße zu einem Parkplatz führt.
Parkbuchten, Picknicktische, Toilettenhäuschen. Alles ganz neu, fast schon zu schick für die Einöde, in der wir uns befinden. Aber offensichtlich auch ausgerichtet für Bustouristen. Da es schon dämmert, als wir ankommen, sind wir fast die einzigen Besucher hier.
Zum Dettifoss führt ein etwa 400 Meter langer Fußweg. Zu sehen ist der Wasserfall noch nicht, aber wir sehen schon wieder die Gischtwolken aufsteigen. Im Gegensatz zum Besuch am Vortag werden wir diemal richtig nass, denn die Wasserschwaden ziehen direkt auf uns zu. Das scheint wohl der Normalfall zu sein, denn hier am Westufer breiten sich Wiesen aus, während es am Ostufer nur steinig ist. An manchen Stellen sind Matten und Stege über die sumpfigen Wiesen gelegt.
Dem Wasserfall kommen wir nicht so nahe wie an der Ostseite. Wir schauen von einer Plattform aus auf den Dettifoss hinunter. Das ist ebenfalls schön und interessant, kann aber mit den Eindrücken, den wir am Ostufer hatten, nicht mithalten. Es fehlt die unmittelbare Nähe.
Der Dettifoss bietet also zwei Möglichkeiten: Auf die harte Tour, mit der großen Belohnung, den Wasserfall unmittelbar zu erleben. Oder entspannt, aber dann halt nur mit dem normalbeeindruckenden Ausblick von oben auf den Wasserfall.
Vom Parkplatz aus führt ebenfalls ein Weg zum Selfoss (nicht zu Verwechseln mit der gleichnamigen Stadt Selfoss im Süden Islands!), einem kleineren Wasserfall, der vor dem Dettifoss liegt. Der Weg ist auch nur 600 Meter lang, wir haben ihn aber ausgelassen. Ein weiterer Wasserfall im Nähe ist der etwa zwei Kilomter flussabwärts gelegene Hafragilsfoss.
Welchen Umweg uns der Dettifoss beschert hat
Was noch passiert ist: Als wir von der Ostseite des Dettifoss wieder losfahren, habe ich keine Lust, die fürchterliche Schotterpiste zurück zur Ringstraße noch einmal zu fahren. Daher fahren einfach weiter in den Norden. In der, natürlich völlig sinnlosen, Hoffnung, dass es vielleicht ein paar Kilometer weiter noch eine Brücke geben könnte, die nicht in der Karte verzeichnet ist. Gibt es natürlich nicht.
Wir fahren also auf einer ebenfalls schlechten, aber etwas weniger üblen, Strecke bis wir im Norden auf die Straße 85 treffen. Diese Strecke wird nun sehr einsam. Auf den folgenden gut 25 Kilometern werden wir ein Auto und drei Schafe treffen.
Direkt, nachdem wir die Straße 85 erreicht haben, können wir den Jökulsá á Fjöllum überqueren und gelangen nur wenige Minuten später zur Ásbyrgi-Schlucht. Ursprünglich hatten wir sie nicht als Ziel eingeplant, aber durch den Umweg konnten wir sie noch besichtigen.
Auf dem weiteren Weg über die 85 haben wir zwar nicht den nördlichsten Punkt Islands, aber den nördlichsten Punkt unserer Reise besucht, sind durch Húsavík gefahren, haben auf dem Campingplatz Heiðarbær im warmen Thermalwasser gebadet und die grasgedeckten Häuser von Grenjaðarstaður besucht. Ein spontaner und weiter Umweg vom Dettifoss zum Mývatn, der sich gelohnt hat.
Buchtipps und Wanderkarte:
Vielen Dank für Ihren ausführlichen Islandbericht, wir fliegen im Juni das erste Mal dorthin und jetzt wird die Vorfreude langsam immer größer.
LG Sylvia Bradl